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Sanctum der Funkenwacht
Die folgende Novelle ist rein fiktiv. Falls sich Namen oder Handlungselemente mit Personen oder Ereignissen aus der echten Welt überschneiden, ist dies reiner Zufall.
Sanctum der Funkenwacht
In einer dunklen Kammer, nur erleuchtet vom Schein zweier Kerzen, bereitete der Hochmagus Criston Imwaleth vom Sanctum der Funkenwacht die Lehrstunden für die Klosterschule vor. Er schrieb einen letzten Satz nieder und las sich nochmals den Studienplan durch. Er lehrte Theoretische Magie und war sehr an der Forschung über Kommunikation mit den Anderswelten interessiert. Die meisten anderen Magier hielten nicht viel von dem Konzept der Anderswelten, das erst wenige Jahre zuvor vom Vorsitzenden des Sanctums der Traumseher in dessen letzten Brief vor seinem Tod erwähnt wurde. Criston löschte seine Kerzen und begab sich in sein Schlafgemach. Seine letzten Gedanken vorm Einschlafen verlor er an seine Geliebte, von der keiner wissen durfte. Es war nicht verboten, aber trotzdem nicht gerne gesehen, wenn ein Hochmagus eines Sanctums eine Liebesbeziehung führte. Criston kannte keinen anderen Hochmagus, der sich auf solch eine Liebelei einließ.
Es waren die ersten Sonnenstrahlen, die durch die Fenster der dicken Mauern in sein Gesicht fielen, die ihn weckten. Er streckte sich, zog sich sein orange-gelbes Morgengewand an und ging in Richtung der Waschräume. Er redete nicht mehr viel mit den anderen Mönchen, da einige ihn wegen seiner Forschungen für einen Frevler hielten. Und so frühstückte er in seinen Gemächern allein, während er seiner Geliebten ein Gedicht widmete.
Wenig später, in seiner Maguskutte, stand er schon im Hörsaal und lehrte Theoretische Magie.
„Wissen Sie, ich finde es faszinierend, was alles noch nicht erforscht wurde. Stetig tun sich neue Gebiete auf, und das dank brillanter Köpfe, die zu Beginn für verrückt gehalten wurden. Niemand hat Magus Shantan Isaka geglaubt, als er seine Forschung vorstellte, wie man aus dem einfachen Fingerfeuer einen gewaltigen Schutzwall formen könnte. Nein, er wurde verspottet und hingerichtet. Keiner hat geahnt, dass es nur ein paar Jahrzehnte später, im großen Orkkrieg, seine Forschung war, die dem Kaiserreich den Sieg einbringen konnte. Heute wird man für so eine These nicht mehr hingerichtet, also keine Angst, meine Damen und Herren. Spott gibt es dafür jedoch trotzdem noch oft.“ Er legte den Stapel Manuskripte auf seinem Pult zusammen und packte sie in seine Tasche. „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, denken Sie an die Übungen, die ich Ihnen ausgeteilt habe und bis zum nächsten Mal, bleiben Sie neugierig.“
Einige applaudierten, doch die meisten Anwärter standen sofort auf und verließen den Hörsaal. Eine Anwärterin blieb jedoch sitzen. „Frau Grutaga?“, fragte der Gelehrte und schaute in das leicht behaarte Gesicht der Zwergin. „Ich habe eine Frage, Hochmagus Imwaleth“, sagte Groti Grutaga unsicher. „Dafür bin ich hier“, antwortete er, stellte einen der Stühle vor sein Pult und wies sie mit einer Handbewegung darauf hin, dort Platz zu nehmen. „Hochmagus, Ihr habt gesagt, neue Theorien stoßen oft auf Spott. Warum ist das so, kann man das irgendwie vermeiden?“ Criston atmete tief ein und wieder aus. „Nun, das Warum ist einfach, das andere eher weniger. Wissen Sie, die Leute – vor allem im höheren Alter – mögen Neues einfach nicht. Viele haben ein ‚Es bleibt alles so wie es ist‘-Mantra fest im Kopf eingebrannt und sind sehr stur.“ Er hielt eine Hand neben seinen Mund und flüsterte: „Ganz besonders die Menschen.“ Er, selbst halb Mensch, halb Elf, schmunzelte etwas. „Konservatismus ist leider auch ein Problem in der Welt der Magier und Hexen. Wie man jetzt neue – für die meisten absurd erscheinende – Theorien vorstellt, die im ersten Moment unrealistisch klingen, ohne dass man verspottet wird – das weiß ich leider nicht.“
„Ich verstehe… furchtbar schade ist das.“ „In der Tat. Ich bedanke mich für Ihre Frage, wenn sie sonst nichts mehr haben.“ Die Zwergin schüttelte den Kopf. „Dann sehen wir uns in der nächsten Sitzung. Gute Heimkehr.“
Criston packte seine Unterlagen zusammen, brachte sie in seine Gemächer und machte sich auf den Weg hinaus aus dem Sanctum in Richtung Griwafurt.
Vor dem Eingangstor kam ihm eine Frau in der gleichen dunklen orange-blauen Kutte, die auch er trug, entgegen. Sie war ebenfalls Mitglied des Sanctums und schulterte einen großen Weidekorb. Sie warf Criston einen verachtenden Blick zu.
Das Sanctum lag auf GwiGez, einem der niedrigeren Berge am Fuße des großen Zwerg-Mienen-Gebirges in Grwand, dem Land der Zwerge. Der Weg dauerte circa zwei Stundengläser und ging durch zwei Wäldstücke und an einem Waldrand vorbei. Nach dem Waldstück sah er etwas abseits vom Weg ein kleines Zelt mit einer brennenden Feuerstelle davor. Er bereitete sich mental darauf vor, einen Schutzwall aus Feuer um sich herum zu beschwören, aber es ging keine Gefahr von dem Zelt aus. Bald kam er auch schon in Griwafurt an, der Stadt, in der Lyara lebte. Sie war eine einfache Müllerin an der Bachmühle. Criston ließ einen Schmetterling aus Licht in eines der Fenster der Mühle fliegen.
„Criston!“, Lyara lehnte sich aus dem Fenster im Erdgeschoss. Er kam zu ihr und sie umarmten sich. „Lyara!“ „Ich mach‘ dir die Tür auf.“ Sie lächelte und verließ das Fenster. Der Halbelf ging durch die Tür, durch die ihn die junge Elfenfrau hineinbat. Sie verbrachten einen schönen gemeinsamen Abend. Er las ihr sein Gedicht vor, sie aßen, erzählten von ihrem Tag und spielten ein Kartenspiel, das Criston aus dem Kloster mitgebracht hatte. Sie vergaßen die Zeit und ehe sie sich versahen, färbte sich der Himmel rot von den letzten Sonnenstrahlen. Sie verabschiedeten sich und gaben sich einen Kuss. Criston nahm sich noch eine Fackel von Lyara mit und entzündete sie mit einem Fingerfeuer.
Der Heimweg wirkte immer sehr viel länger als der Hinweg. Seine Schritte wurden langsamer und schwerer. Er wurde traurig, da er nicht den Mut aufbrachte, sich in der Öffentlichkeit mit seiner Geliebten zu zeigen. Er ballte seine Fäuste, jedoch war ihm klar, dass die Anwärter sowie die anderen Magier und Hexen im Sanctum ihn dann noch weniger – oder gar nicht mehr respektieren würden.
Ein unangenehmes Gefühl überkam ihn. Er fühlte sich beobachtet. Irgendwas lunzte aus dem Wald. Er ging langsamer und sah sich in alle Richtungen um. Er hörte ein gequältes Stöhnen.
Eine Person, nein ein Wesen in Gestalt einer Person, kam aus dem Wald. Es sah ihn an – er sah es an. Es hatte zerrissene Kleidung, war blass wie der Tod und an einigen Stellen fehlte es dem Ding an Fleisch. In dem Moment kreischte es und sein Unterkiefer fiel heraus. So etwas darf es nicht geben. Totes Fleisch in der Gestalt einer lebenden Person. Der Hochmagus wusste, er muss schnell handeln. Er beschwor einen Feuerball, den er nach diesem Ding warf. Die zerrissene Kleidung an dieser Beleidigung der Götter brannte lichterloh, aber es kam weiter auf den Halbelfen zu und hob jetzt eine verrostete Axt. Criston trat einen Schritt zurück und beschwor einen noch größeren, noch heißeren Feuerball und schleuderte diesen auf das Monster. Es fiel zu Boden. Es regte sich nicht mehr. In der Aufregung hatte er seine Fackel fallen lassen, die einen Busch in Brand gesetzt hatte. Er hielt seine Hand in Richtung der Fackel und diese kam langsam zu ihm geflogen, während er mit der anderen Hand einen aus dem Boden auftauchenden Wasserwall beschwor, der den Brand löschte.
Er untersuchte den Gegner, als ihm auffiel, dass dieser langsam zu Staub zerfiel. Auch die Kleidung und die Waffe. Eigenartig. Von sowas hatte der Magier noch nie gehört. Jedoch fiel ihm auf dem weiteren Weg etwas ein, das er in der Zeitung gelesen hatte. Es hieß, auf ganz Inaka häuften sich Angriffe von einer sogenannten ‚Mysteriösen Macht‘. Was wussten die Herrscher, was man nicht einmal den Magiern des Sanctums der Funkenwacht anvertraute – oder was verheimlichten die anderen Gelehrten vor ihm? Er wusste nur, dass er schnell zurück musste und dem obersten Magus Bericht erstatten sollte.
Er dachte nicht mehr daran, aber das Zelt am Wegesrand war fort, es waren nur noch die Reste der ausgebrannten Feuerstelle zu sehen.
Criston wurde schneller, er wollte so schnell wie möglich von diesem Vorfall berichten, um andere, sich selbst und vor allem Lyara vor solchen Monstern zu beschützen.
Angekommen im Sanctum der Funkenwacht spürte er, dass etwas nicht stimmte. Eine ungewöhnliche Aura umschloss das Kloster. Das alarmierte den Hochmagus nur noch mehr. Er ging direkt zum Audienzzimmer vom Obersten Magus des Sanctums, Seijiro Takamori. Auf dem Weg kam ihm ein unbekannter Menschenmann in einem dunklen Umhang und einer tiefen Kapuze entgegen. Criston spürte bei ihm die merkwürdige Aura am stärksten. Aber er verdrängte das Gefühl, um sich voll auf sein Anliegen zu fokussieren. Er trat in das Vorzimmer ein und klopfte an der Tür. Die Tür öffnete sich. In der Mitte des großen, wunderschön dekorierten Raumes stand ein Schreibtisch, an dem ein alter Elfenmann in einer blauen Kutte saß.
„Hochmagus Imwaleth, was kann ich für Euch tun?“ „Oberster Magus – mir ist etwas begegnet. Eine Kreatur – eine Kreatur, die es so nicht geben dürfte.“ „Ja? Was meint Ihr damit?“ „Ein Wesen aus totem Fleisch – und doch hat es gelebt – nein, gelebt hat es nicht, aber es hat sich bewegt und wollte mich angreifen… es war sehr hartnä– “, Takamori unterbrach ihn „Könnt Ihr das beweisen? Habt Ihr etwas von dem … Ding dabei?“ „Nein…“ „Ich spüre, dass Euch wirklich etwas belastet. Jedoch kann ich in Eurem jetzigen Zustand nichts mit Euch anfangen. Sammelt Euch und kommt später nochmal.“ Criston zügelte sich selbst, keine Widerrede zu geben, verbeugte sich und ging in Richtung der Tür. „Ach ja, Imwaleth. So ein Mensch hat nach Euch gesucht. Wollte seinen Namen nicht nennen. Dunkler Mantel, müsste sich noch irgendwo um das Sanctum aufhalten.“ Wer könnte das sein? Criston verließ den Raum und sah sich nach dem Menschen um. Er verließ das Hauptgebäude und im öffentlichen Innenhof saß er, der Mann, der Criston schon auffiel, als er auf dem Weg zu Takamori war. Der Hochmagus näherte sich ihm. „Sind Sie es?“, flüsterte der Mann. „Bin ich – wer?“, Criston sah den Fremden an. „Der Hochmagus mit der Arbeit über die Anderswelten.“ Imwaleth trat einen Schritt zurück. „Ja, der bin ich, Criston Imwaleth. Wer sind Sie?“, sagte er kalt. „Man nennt mich Adler. Ich habe etwas Ernstes mit Ihnen zu besprechen… Ich brauche Ihre Hilfe.“ Der Hochmagus sah den Menschen verdutzt an. „Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer, da können wir das genauer besprechen.“
Auf dem Weg ins Arbeitszimmer spürte Criston wieder die merkwürdige Aura – und sie ging von diesem Menschenmann aus. Nur wie? Ein Mensch konnte nicht magisch sein. War er vielleicht ein Halbling? Hatte er etwas mit dem Vorfall im am Waldrand zu tun? Das Zelt?
Sie kamen am Arbeitszimmer an und Imwaleth bereitete sich längst mental darauf vor, sich gleich gegen diesen ‚Adler‘ verteidigen zu müssen. Trotzdem interessierte es ihn, was der Mann zu sagen hatte. „Also, fangen Sie von vorn an. Was ist Ihr Gesuch und was hat es mit den Anderswelten zu tun?“ Der Mann nahm seine Kapuze ab. Hervor kam ein mittelalter Menschenmann mit einem kantigen Gesicht und blasser Haut. Er strich sich seine Haare hinter sein menschliches Ohr und nahm eine der Kerzen. Mit der anderen Hand schnipste er und über seinem Zeigefinger erschien eine kleine Flamme. Mit diesem Fingerfeuer entzündete er die Kerze. Imwaleth schaute ihn ungläubig an. „Aber… Aber – Ihr seid ein Mensch“ Adler löschte das Fingerfeuer. „Das ist richtig. Ihren Unglauben habe ich erwartet, deshalb habe ich es gleich demonstriert.“ „Wie?“ Der Mann zögerte etwas. „Sagen wir, die Shimai Hexen haben mich gesegnet.“ Criston wusste nicht wie ihm geschah. Er nahm eine Flasche Weinbrand und zwei Gläser aus seinem Schreibtisch. Der Mann schüttelte schweigend den Kopf, aber ließ den Magus trinken.
„Entschuldigt bitte. Erzählt mir, was Ihr mir erzählen wollt.“ „Nun ja, wo fangen wir an? Sie haben bestimmt bemerkt, dass es seit circa zwei Jahren immer mehr übernatürliche Vorfälle gibt.“ Criston nickte gespannt. „Vor einiger Zeit, habe ich Wege erforscht mit der Unterwelt zu kommunizieren – sie gar zu öffnen…“ Cristons Blick verdunkelte sich und Adler hob beschämt seine Hände. „Ich weiß – Ich wurde auch von Ihr wisst schon wem ausreichend bestraft. Während meiner Peinigung sind für alle anderen auf Daizu nur Momente vergangen. Für mich waren es Jahrhunderte der Qualen. Aber worauf ich hinaus möchte: Die Hexen haben den großen Riss der Welten geschlossen. Trotzdem gab es besagte Ereignisse. Und ich habe die Befürchtung, dass unzählig viele winzig kleine Risse im Gefüge der Realität entstanden sind. Meine These wird davon bestärkt, dass Inaka seit zwei Wochen regelmäßig von fremden Wesen angegriffen wird. Ich vermute irgendjemand oder irgendetwas in einer anderen Sphäre hat diese Risse in unserer Realität entdeckt und versucht nun zu uns zu gelangen.“ Er machte eine Pause „Ich schäme mich und möchte wieder reparieren, was ich kaputt gemacht habe.“ Imwaleth war erschreckt und fasziniert zugleich. „Und Ihr glaubt, meine Forschung kann Euch helfen, dieser These auf den Grund zu gehen?“ Der Mann nickte. „Was schwebt Euch vor?“ „Ihr habt in einer Eurer Arbeiten erwähnt, dass Ihr an einem Ritual zur Kommunikation mit den Anderswelten arbeitet.“ „Ja, aber das ist bisher nur Theorie.“ „Glaubt Ihr, Ihr seid in der Lage, es durchzuführen?“ Er nickte. „Ich kann nicht versichern, dass es funktioniert. Aber wenn wir das durchführen wollen, brauchen wir Die Zähne eines Ogers und die Perle aus dem Hals eines Feuerdrachen.“ Adler lehnte sich nach vorn. „Ihr seid also dabei?“ „Für Daizu.“ „Für Daizu.“ Sie reichten sich die Hände.
Imwaleth war schon einige Male auf Reisen gewesen. Er packte noch an diesem Abend seine Sachen und schrieb zwei Briefe. Auch Adler bereitete sich auf eine mehrwöchige Reise vor und schlief in einem Gästezimmer im Sanctum.
Noch vor den ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages, als das ganze Kloster noch still war, standen sie auf. Imwaleth schob dem Obersten Magus einen der Briefe unter der Tür hindurch und danach verließen sie, ohne dass jemand es bemerkte, das Sanctum der Funkenwacht. Den ersten Stopp
machten sie bereits in Griwafurt, wo Criston der Mühle seiner Geliebten ein kleines Kästchen und den anderen Brief ins offene Fenster stellte. Währenddessen ging Adler durch die Straßen und sah sich nach Händlern um, um die Vorräte für die Reise aufzufüllen.
Nach dem kurzen Aufenthalt gingen sie weiter in Richtung der Drachenberge, immer mit dem Ziel vor Augen, etwas Gutes für ihr Land, für Inaka, für ganz Daizu zu tun.
Eine Novelle von Jan Mamay
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